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SERA WISSEN: Fallverstehen in der Sozialen Arbeit: Das Fünf-Achsen-Modell sozialer Probleme

Wenn Fachkräfte der Sozialen Arbeit „in einen Fall einsteigen“, sehen sie sich mit verschiedensten Herausforderungen konfrontiert. Neben der Notwendigkeit, eine professionelle Hilfebeziehung zu dem/der Adressat*in aufzubauen und zu gestalten, stellt sich die Frage nach dem Fallverstehen, der sozialarbeiterischen Exploration oder auch der „Sozialen Diagnostik“.

Eines sei vorweg gesagt: Sozialarbeiterisches Handeln im Sinne einer Profession, macht es notwendig, wie in anderen Professionen auch, eine Diagnostik durchzuführen. Diagnostik sei hier verstanden als das „durchforschen“ (aus dem altgriechischen diagnossi) eines sozialarbeiterischen Falles in Bezug auf vorliegende soziale Probleme von dem/der Adressat*in, die als Person in ihrer Umwelt verstanden werden.

Die Herausforderungen für Sozialarbeiter*innen gerade in den alltagsorientierten Handlungsfeldern, wie zum Beispiel in der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH), ist eine Art „Allzuständigkeit“ der Sozialen Arbeit, die sich zunächst im Alltags- und Lebensweltorientierten Gesprächen ergibt. Alles, was dem/der Adressat*in im Alltag und Lebenswelt begegnet, kann zum Inhalt eines sozialarbeiterischen Gespräches werden.

► Für was ist nun Soziale Arbeit, in der Fülle der im Gespräch problematisierten Zusammenhänge, zuständig?

► Und wie lassen sich diese Probleme von dem/der Adressat*in ordnen, um für jene und sie als Fachkraft einen Überblick über „den Fall“ zu gewinnen?

► Wie kann gemeinsam mit dem/der Adressat*in dies priorisiert werden?

Andererseits: Wo Soziale Arbeit keine eigene Diagnostik oder kein eigenes Fallverstehen generiert, geschieht es häufig, dass andere Professionen die Deutungshoheit über „den Fall“ übernehmen. Plötzlich handeln Fachkräfte der Sozialen Arbeit entlang der fachlichen Deutung von Psycholog*innen, Lehrer*innen oder Therapeut*innen.

Eine eigene professionelle Diagnostik der Sozialen Arbeit ist nicht nur unumgänglich im Kontext der Wahrung des eigenen professionellen Arbeitens, sondern auch in Hinblick auf die Lösung sozialer Probleme von dem/der Adressat*in der sozialen Arbeit. Die Diagnostik von Psychotherapeut*innen beispielsweise wird keine Ansätze zur Lösung von sozialen Problemen bieten, den sie hat diese nicht zum Gegenstand.

Wie können nun soziale Probleme, als Gegenstand der Profession Sozialer Arbeit definiert werden?

Im Kontext des Fünf-Achsen-Modells, werden soziale Probleme als Probleme auf der Interaktionslinie zwischen Individuum und Umwelt verstanden. Überall wo es „knirscht“ in den Interaktionen zwischen Individuum und seiner Umwelt, finden soziale Probleme statt. Als Umwelt des Individuums, gelten nicht nur andere Individuen, sondern auch gesellschaftliche Funktionssysteme, Lebenswelten, Organisationen und andere gesellschaftliche Gegebenheiten. Dabei ist es von besonderer Bedeutung, dass soziale Probleme nicht etwas sind, was „jemand hat“. Soziale Probleme lassen sich nicht einseitig im Individuum oder auch in der Umwelt verorten, sondern sie entstehen in der wechselseitigen Interaktion.

Das Fünf-Achsenmodell sozialer Probleme gliedert die Interaktionen zwischen Individuum und Umwelt in fünf Bereiche, die sogenannten Achsen, welche Fachkräfte der Sozialen Arbeit als Modell nutzen können, um ihrem anfänglichen Fallverstehen einen Leitfaden zu geben:

Achse 1: Individuelle Bedürfnisse

Individuen werden im Fünf-Achsen-Modell als biopsychosoziale Systeme verstanden, die mit bio-psycho-sozialen Bedürfnissen ausgestattet sind.
Diese müssen im Kontext der sozialen Gerechtigkeit von der Gesellschaft, bzw. in der Umwelt berücksichtigt werden.

Achse 2: Zugang zu Regelsystemen und Existenzsicherung

Im Fünf-Achsen-Modell wird Gesellschaft als funktional ausdifferenziertes System verstanden, welches Individuen Möglichkeiten zur Inklusion/Exklusion im Laufe ihrer Biographie ermöglicht. Für Soziale Arbeit gilt es, die Möglichkeiten zum Zugang zu Regelsystemen und Existenzsicherung zu erweitern.

Achse 3: Verwirklichung in Lebenswelten

Individuen stehen in Bezug zu verschiedenen lebensweltlichen sozialen Systemen. In diesen fördert Soziale Arbeit die Verwirklichung der Lebensentwürfe von dem/der Adressat*in, sowie deren Teilhabe an sozialen Umwelten.

Achse 4: Umgang mit Sozialen Rollen

Adressat*innen der Sozialen Arbeit sind mit verschiedenen sozialen Rollen und deren Erwartungen an diese konfrontiert. Im Spannungsfeld zwischen Eigenerwartung und Fremderwartung ergeben sich Problematiken, welche Soziale Arbeit mit ihren Adressat*innen gemeinsam bearbeitet.

Achse 5: Handlungsfähigkeit im Alltag

Probleme begegnen dem/der Adressat*in meist im Alltag. Die selbstbestimmte und gelungene Gestaltung des Alltags ist Gegenstand der Sozialen Arbeit.
Sie unterstützt dem/der Adressat*innen, den Alltag zu bewältigen. Der „Alltag“ wird auf dieser Achse als Umwelt von Individuen betrachtet.

Schlussbemerkung:

Wo professionelles Fallverstehen oder professionelle Diagnostik Sozialer Arbeit fehlt, dort besteht die Gefahr, dass normierende Instanzen der Gesellschaft, zum Bespiel Jugendamt oder Job- Center die Deutungshoheit über vorliegende Problematiken im Fall übernehmen. Fachkräfte der Sozialen Arbeit, sehen sich nicht selten normierenden Aufträgen gegenüber, wenn sie keine eigene Diagnostik betreiben. Von einer Selbstdeutung der vorliegenden Problematiken durch die Adressat*innen ganz zu Schweigen. Professionelles Fallverstehen oder Diagnostik der Sozialen Arbeit, bietet die Möglichkeit zur Selbstermächtigung für Adressat*innen. Das Fünf-Achsen- Modell sozialer Probleme erweitert im partizipativen Gespräch die Möglichkeiten von Adressat*innen dazu.

Das SERA Institut bietet Ihnen mit SERA Dozent  Josha Eisenhut hierzu folgendes zweitägiges Seminar an :

Diagnostik der Sozialen Arbeit: Einführung in das Fünf-Achsen- Modell sozialer Probleme

20. - 21.06.2023 | 09:00 Uhr - 17:00 Uhr | 2-tägig |  440,- € zzgl. 19% MwSt.
 

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